JARMUSCHEK + PARTNER

PETRA LOTTJE-TEXTE

PETRA LOTTJE

TEXTS (SELECTION)


„Ich habe noch nie ausprobiert, was passiert, wenn ich nicht zeichne“ | November 2023
Ein Gespräch mit der Künstlerin Petra Lottje vom Profanen, Technischen hin zum inneren Licht
Von Patricia Löwe (Guardini akut, Guardini Stiftung)

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Besprechung der Ausstellung “Klasse Damen!” im Schloss Biesdorf
Frankfurter Rundschau | 1. Juli 2019 von Ingeborg Ruthe

”Im Foyer von Schloss Biesdorf in Berlin-Marzahn hängt jetzt eine professorale Puppe von der Kuppeldecke, eine recht sarkastische Skulptur der Zeichnerin Petra Lottje. Frack, Zylinder, winzig lugt der Schniedel aus der Hose. Eine bissige Karikatur für den blamierten Männer-Akademismus. Spott über eine politische Situation und gravierende Unterschiede, auch im Kunstbetrieb.”

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Ausstellungstext "TIMECODE"
Jarmuschek+Partner | 29. April – 6. Mai 2017

„An unserer Sprache, unserer Rhetorik können wir feilen. Doch was der Rest des Körpers währenddessen tut, ist viel schwerer beeinflussbar. Gesten oder Bewegungen sind viel aussagekräftiger als Worte – allein in der menschlichen Mimik gibt es laut Forschungsergebnissen über 10.000 Mikroausdrücke. TIMECODE kommt ohne Worte aus.“ (Petra Lottje)

Ein romantisches Fotoshooting. Ein nicht mehr ganz junges Paar mit einer Taube.
In einer kammerspielartigen Situation des im Zentrum von TIMECODE stehenden 2 Kanal-Videos findet sich der Betrachter in der Perspektive des nicht sichtbaren Fotografen wieder. Durch Zeitlupe, Bildtrennung und den fast vollständigen Verzicht auf Ton offenbart sich, was sonst verborgen bleibt: Die detaillierte Mimik und Gestik enthüllt ein Pendeln zwischen nach außen gewandter Inszenierung und der Besinnung auf das Paarsein, ein wiederholtes Abreißen und Wiederaufnehmen von Kommunikation, die Nähe und Distanz der Protagonisten sowohl im räumlichen als auch die von ihnen gespielte Rolle betreffend.

Die festgehaltene und bis zuletzt nicht freigelassene Taube als fragiler Schützling und Symbol zugleich, wird stetig zwischen den Partnern hin-und hergereicht, erhält schließlich mehr Aufmerksamkeit als die Personen sich gegenseitig schenken, ist gleichzeitig Bindeglied und Störfaktor. Liebevolle Zärtlichkeit und Intimität sind im Laufe der kurzen Aktion ebenso zu finden wie Unsicherheit, Verletzlichkeit und Einsamkeit. Der konzentrierte Blick in die Handlung und die große Nähe zum Geschehen lassen auch kleinste Regungen verstehen, ermöglichen eine Identifikation und das Erkennen des Extremen im Detail: Tief im Verhalten verankerter Narzissmus wird ebenso sichtbar wie das unterschwellige Ringen um Behauptung, Manipulation und Macht im Spannungsverhältnis zum bewussten Gefühl der Verantwortung füreinander und zur gegenseitigen Rücksichtnahme.

In kontraststiftender Ergänzung hierzu steht der zweite Film der Installation, der das Geschehen in Echtzeit wiedergibt. Er bietet dem Zuschauer eine distanziertere Perspektive auf das nun harmonisch wirkende Paar mit der Taube und entlarvt zugleich die Wahrheiten, die wir in unserer tagtäglichen Wahrnehmung zu finden glauben. Transparent darübergelegt ist die hoch symbolisch und assoziativ aufgeladene Aufnahme von Federn und Eiern sowie toten und lebendigen Tauben.

Derweil werden die während des Shootings entstandenen Fotos mit dem bereits gewonnenen Hintergrundwissen zum ambivalent anmutenden Beweisstück und lassen den Betrachter nach Indizien für all jenes suchen, was das Foto letztendlich nicht vollends preiszugeben vermag.

Mit brillanten Schauspielern (Corinna Kirchhoff und Matthias Neukirch), einfühlsamer Kamera (Andreas Gockel) und einer klaren, reduzierten Bildsprache zeigt Petra Lottje eine sensible, spannungsreiche und intensive Nahaufnahme des kleinen, aber komplexen Kosmos Beziehung. Ohne durch Hintergründe, Dialoge oder Umgebungsbeschreibungen eine konkrete Erzählung zu gestalten, schafft diese Arbeit es, dem Zuschauer eine Essenz des menschlichen Miteinanders sichtbar zu machen, die berührt und uns zu bewegen vermag, über diese kleinste gesellschaftliche Einheit weit hinaus nachzudenken. 

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Ausstellung “ISOMERE”
Jarmuschek+Partner | 7. März – 18. April 2015

Im Rahmen ihrer Ausstellung „Isomere“ präsentiert Jarmuschek+Partner erstmals die 2014-15 entstandenen Zeichnungen der in Berlin lebenden Künstlerin Petra Lottje. Sie ist vor allem bekannt für ihre Videoarbeiten, welche bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurden und eine beachtenswerte mediale Resonanz erhielten. Diesen Videoarbeiten fügt sie nun für sich stehende Zeichnungen hinzu. 
Beinahe minimalistisch wirken die Umrisse der aus einer zusammenhängenden Linie geformten Menschen. Mit Linien, die nie enden wollen und alles verbinden, sucht sie nach Formen und Grenzen des Greifbaren. Die Platzierung von Gruppen, Paaren oder Einzelpersonen vor leerem Hintergrund verweist zum einen auf die Materialität des Gezeichneten und zum anderen auf die Universalität der dargestellten Situationen, Codes und Konflikte. 

Wie eine Chemikerin untersucht Lottje die Bestandteile des Alltags, um sie einzeln in ihrem Reaktionsraum zu betrachten. Der programmatische Ausstellungstitel „Isomere“ greift diese wissenschaftlich analytische Herangehensweise auf. Isomere (griech.: gleichteilig) sind chemische Verbindungen mit gleichen Summenformeln, aber unterschiedlichen Strukturen und Eigenschaften. Zwar haben alle Dinge und Lebewesen unterschiedliche Charakteristika, aber dennoch bestehen wir aus den gleichen Bauteilen wie unsere Umgebung. Diese Metapher betont zum einen die verschwimmenden Grenzen zwischen den Paarungen - beispielsweise Individuen und ihrer Umwelt -  in den Zeichnungen Lottjes, zum anderen setzt sie die Austauschbarkeit des Einzelnen in ein Spannungsverhältnis zu seiner Unersetzbarkeit, da die Isomere trotz ihrer Diversität ein undurchdringliches Netz weben. 

Der Mensch als soziales Wesen bleibt so stets zentrales Thema der Arbeiten Lottjes. Die neben den Zeichnungen präsentierten Videoarbeit „Jedes Zimmer hinter einer Tür“ bricht die Kongruenz von Identität auf, indem die Künstlerin mit der Methode des Lipsynch die Stimmen von den Sprechern trennt und neue Einheiten konstruiert. In den 22 Sequenzen übernimmt sie den O-Ton aus Spielfilmen und inszeniert selbst die weibliche Hauptfigur im Bild. Die Schauspielerin ist ein Isomer der Rolle und die Künstlerin ist Isomer der schauspielenden Person. In der 2-Kanal-Installation schafft Petra Lottje eine Komposition, mit der sie die potentielle Zeitgleichheit diverser Emotionen von nichtlinear abbildbaren Zuständen einfängt. 

Wie die Videos durch die Auflösung der Homogenität von Bild und Ton einen subjektiven Erfahrungsraum kreieren, so werfen auch die Zeichnungen die Betrachter durch die Leerstellen auf sich selbst zurück und stoßen eine Reflexion über die Grenzen des eigenen Selbst hinaus an.