JARMUSCHEK + PARTNER

MAJLA ZENELI-TEXTE

MAJLA ZENELI

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TEXTE (AUSWAHL)

Preisvergabe des Christine Perthen-Preises für Radierung 2022
Auszug der Pressemittelung der Berlinischen Galerie - Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur

”[…]Majla Zeneli beschäftigt sich in ihrer künstlerischen Arbeit mit den Medien der Collage und der Druckgrafik. Insbesondere die traditionelle und äußerst aufwendige Mezzotinto-Technik ist für sie ein zentrales Ausdrucksmittel, dem sie sich schon seit vielen Jahren widmet. Ihre Arbeiten basieren auf elementaren geometrischen Formen, die sie mehrfach übereinander druckt. Es entstehen immer wieder neue Variationen, die eine bemerkenswerte Tiefenwirkung entfalten. Gerade durch ihren spontanen und innovativen Umgang mit der aus dem 17. Jahrhundert stammen den Mezzotinto-Technik, kombiniert mit einem gezielten Einsatz von Farbe, setzt Majla Zeneli neue Impulse in der Radierung. […]”

Die vollständige Mitteilung finden Sie HIER.

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Ausstellungstext “On Stops and Continuants”
26. Januar - 2. März 2019 | Galerie Jarmuschek + Partner

Wie die Aussprache der Wörter eine Artikulation der immer neuen Kombinationen von Vokalen und Konsonanten ist, so besteht auch Majla Zenelis Präsentation On Stops and Continuants aus einzelnen Bildern, die als Variablen in einem System größerer, vielteiliger Einheiten gelesen werden können. Immer wieder neu miteinander denk-und kombinierbar, werfen sie beim Betrachter Fragen nach der Substanz und dem Wesen eines Bildes auf. Was macht ein Bild zu einem Bild? Ab wann ist es eine eigenständige, in sich funktionierende Einheit und wo setzt es sich vom nächsten ab? An welcher Stelle sind die Übergänge und Grenzen zu anderen Werken zu finden und wie beständig oder autonom ist ein Bild in seiner Erscheinung, Lesbarkeit und Bedeutung für uns überhaupt? In einer Serie mehrschichtiger Drucke spielt die Künstlerin mit der Erzeugung von Tiefe und Perspektive durch einfachste geometrische Konstellationen und Hell-Dunkel-Kontraste. Kontemplativ erfahrbare, feinporige Farbflächen lassen den Betrachtenden in einen Farbraum eintauchen, in dem diffuse Linien und klare Brüche wie Horizonte, Himmel, Schatten oder Lichtkegel wirken.
Ob Innen- oder Außenraum, begreifbare Anordnung oder surrealer Widerspruch – stets bleibt die Reaktion pure Assoziation und Gedankenbild. Zugleich sind diese Bilder in ihrer Zusammensetzung immer wiederkehrender Formen als willkürlich anmutende, minimalistische Additionen zu erfassen, welche in ihrer Rätselhaftigkeit die Suche nach Gesetzmäßigkeiten, Zugehörigkeiten und einem mutmaßlich angewendeten Code in der Serialität provoziert.

Auch im zweiten, figürlichen Werkkomplex der Ausstellung, für den Majla Zeneli sich von einer Publikation (Hrsg. Joe Hembus) über die Filmikone Humphrey Bogart inspirieren ließ, spielen das Verbinden und Trennen einzelner Bildelemente eine nicht unerhebliche Rolle. Die schwarz-weißen Collagen nehmen Bruchteile von den bereits ausschnitthaften Filmstills auf und setzen sie in andere, geheimnisvolle Kontexte. Während das Narrativ surreal verfremdet und neu entworfen wird, geraten Gesten und Posen, Schatten und Leerstellen ebenso in den Fokus wie einzelne Gesichter und Hände. Geschlechtsspezifische, filmische und medial inszenierte Rollenbilder legen sich übereinander und eröffnen einen immer wieder neu ansetzbaren Dialog, bei dem die Zerrissenheit und Vielgesichtigkeit des Dargestellten deutlich wird – niemals aber die tatsächliche Identität. Mit besonderer Hingabe zum Wort findet die Künstlerin für ihre Collagen poetische Titel voller Augenzwinkern und hintergründigem Anspielungsreichtum, welche die künstlerischen Arbeiten mit mindestens einem zusätzlichen Aspekt zu bereichern vermögen.

Seit ihrem Studium in Breslau und Halle (Saale) hat sich die in Berlin lebende Künstlerin Majla Zeneli (*1980 in Tirana) in ihren künstlerischen Arbeiten den zwei großen Themenkomplexen Collage und Druckgrafik gewidmet. Besonders die aufwändige und facettenreiche Technik des aus dem 17. Jahrhundert stammenden Mezzotinto-Drucks hat sie dabei immer weiter für sich erschlossen. Mit seinen besonderen Möglichkeiten zur Erzeugung malerischer Qualität, bildimmanenter Stimmung und Atmosphäre war dieses Tiefdruckverfahren in zahlreichen Genres der Kunstgeschichte beliebt. In Majla Zenelis Werk erfährt es eine neue Aktualität und eine im besten Sinne zeitgenössische Verwendung.

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Ausstellungstext "Portrait to some extent"
31. Januar - 28. Februar 2015 | Galerie Jarmuschek + Partner

Bereits während ihres Studiums in Breslau ist die in Albanien geborene Künstlerin Majla Zeneli auf die Mezzotinto-Radierung aufmerksam geworden. Die Jahrhunderte alte Technik, auch „Schabkunst“ genannt, gibt ihr die perfekte Möglichkeit zur graphischen Interpretation und anschließenden Reproduktion eines fotografischen Motivs nahe am Vorbild. Aus ihren Drucken lässt sie poetische Collagen entstehen, deren physische Bildverletzungen uns als Betrachter an die eigene Verwundbarkeit erinnern und uns für die versteckte Gefühlswelt der Mitmenschen sensibilisieren.

Ausgangspunkt ihrer Arbeit ist fast immer die melancholisch anmutende Fotografie eines unbekannten Menschen. Die Mädchen und Jungen, Frauen und Männer auf diesen kostbaren Fundstücken sind nur noch durch ihr Porträt präsent, weder Künstlerin noch Betrachter kennen ihre Namen oder ihre Geschichte. Majla Zeneli setzt sich mit dem auseinander, was geblieben ist und findet in Blick, Haltung und Habitus die Essenz der dargestellten Person. Auf eine mühsam mit dem Wiegemesser aufgeraute Kupferplatte überträgt sie die Umrisse und zeichnet mit einem Schabmesser freihändig die Partien ins Metall, die später aufgehellt sein sollen. 

Der langwierige, meditative Arbeitsprozess führt unfreiwillig zur intensiven Konfrontation mit jedem Detail des Porträts. Zeit spielt für die Arbeiten von Majla Zeneli eine große Rolle: Die Jahrzehnte zurückliegende Fotografie und der ganze Tage in Anspruch nehmende Druck sind Vorstufen ihrer Collagen, Schichten eines Prozesses, an dessen Ende wiederum eine Arbeit mit mehreren Ebenen steht. Die fehlenden Gesichter, multiplizierten Frisuren und verschobenen Blickachsen lassen uns nach dem Verborgenen suchen und animieren uns dazu, das Verlorene zu rekonstruieren. Die Collagen scheinen sich uns zu verschließen und uns gleichzeitig in eine entrückte Welt hineinzuziehen, in der uns der Verlust des Unbekannten emotional berührt.

Mit dem Ausstellungstitel bezieht sich Majla Zeneli auf ein Zitat Jean Dubu ets: “To recognise a portrait as a satisfying one it must be a portrait only to some extent. On the verge of not being it at all.” Ihre Porträts zeugen nicht von bestimmten Charakterzügen, sondern hinterlassen den melancholischen Eindruck einer verschwinden- den Jugend. So sind es weniger Porträts eines Individuums als vielmehr jene einer Generation.

Nur bis zu einem gewissen Grad Landschaft sind auch Majla Zenelis „landscapes“, die als separate Werkreihe ebenfalls in der Ausstellung präsentiert werden. Hier hat die Künstlerin die Technik der Mezzotinto-Radierung experimentell verwendet. In einem mehrstu gen Druck hat sie unterschiedlich eingefärbte Platten collagehaft auf dem Papier arrangiert und abstrakte Bilder mit klaren Formen und einer poetischen Tiefgründigkeit entstehen lassen. 

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INCISION. ZU DEN COLLAGEN VON MAJLA ZENELI.
15.03.2016|  by Sven Grünwitzky | www.qjubes.com

»Ja, das Gesicht hat eine große Zukunft, aber nur, wenn es zerstört und aufgelöst wird.«
Deleuze / Guattari, Tausend Plateaus

Collage
Das Prinzip der Collage liegt darin, aus Elementen der bestehenden Welt eine neue Welt zu schaffen. Für den collagierenden Künstler sind Messer und Schere über ihre Funktion als elementare Werkzeuge der Gestaltung hinaus Handwaffen des Denkens, Instrumente der Dekonstruktion und Montage.
Teilen und Verbinden, Zerschneiden und neu zusammenkleben sind für den Künstler sinnträchtige Überlebensmaßnahmen inmitten einer dezentralisierten Welt ohne natürliche Ordnung und ursprüngliche Einheit. Im Werkprozess der Collage offenbart sich eine zeitgemäße Möglichkeit, ungeahnte Beziehungen zwischen den Dingen zu stiften, neue Verbindungen zu ziehen, um semantische Kurzschlüsse zu provozieren. Mit einfachsten Mitteln können unerwartete Ordnungen und neue Welten aus Wirklichkeitsfragmenten erzeugt werden, indem Materialien, Inhalte und Bilder, die ursprünglich nicht zusammengehörten, miteinander konfrontiert werden, ohne dass diese dabei ihre Herkunft aus unterschiedlichen Realitätsebenen verlieren.
In den Arbeiten von Majla Zeneli sind das in der Regel nicht konkrete Ausschnitte oder fremde Bruchstücke einer Welt außerhalb des Bildes. In der Bildwelt ihrer Collagen zeigt sie sich im Gegensatz zu vielen zeitgenössischen Kollegen auch kaum fasziniert von ärmlichen Materialien oder massenmedialen Inhalten. Ihre meist alten schwarz-weiss Photographien ähnelnden Porträt-Collagen sind ganz im Gegenteil das Ergebnis eines langwierigen Arbeitsprozesses, bei dem sie sich in einem aufwendigen Druckverfahren zunächst ihre Vorlagen aneignet, sie in mehreren Abzügen vervielfältigt, um sie dann auf unterschiedliche Weisen wieder ineinander zu montieren.

Der Schnitt durch das Auge der Zeit
Ihre Ausgangsstoffe stellen meist gefundenes Photo- und Filmmaterial dar. Während der handwerklich aufwendigen Reproduktion dieser Vorlagen werden diesen kleinste, aber mitunter bedeutungsvolle Abweichungen zugefügt. Von jeder Druckplatte werden mehrere Abzüge genommen, von denen jeder aufgrundabweichender Details etwas Einzigartiges bewahrt. Eine Serie von Drucken wirkt so wie eine Familie, voller Ähnlichkeiten, geheimer Bezüge und Differenzen. In der Folge können auf ihrem Schneidetisch sehr unterschiedliche Dinge passieren. Denn erst jetzt beginnt die Arbeit mit Messer und Schere und damit auch die Kunst des Zerschneidens, Zerlegens und Zusammenfügens.
Dabei wird das Ausgangsmaterial nicht wild zerstört, sondern sorgfältig ausgeschnitten und meist sauber ineinander gefügt. Schnitt- und Klebestellen werden weder kaschiert noch absichtlich betont. Die Montage weder augenfällig demonstriert noch versteckt. Trotz der optischen Irritationen und Zäsuren erscheinen ihre fertigen Collagen daher aufgrund einer differenzierten Lichtdramaturgie auf den ersten Blick als eine in gewissem Sinne einheitliche Bildwelt. Die Gesichter, die ihre Porträt-Collagen zeigen, präsentieren sich in einer trügerischen Harmonie, eingebettet in die vorgetäuschte Matrix einer Photographie, die keine ist.
Um diesen gleitenden Bildeindruck zu erzeugen, nutzt Zeneli für ihre Abzüge die alte Drucktechnik des Mezzotinto, das ihr tonale Abstufungen von feiner photographischer Qualität erlaubt. Ihre Bildschöpfungen behalten so das autonom-illusionistische Abbild als eine Art suggestiven Gestaltungsrahmens bei. Fast unbemerkt geschieht damit der Schnitt durch das samtweiche, dunkle Farbklima hindurch ins Phantastische, Monströse oder Abgründige.
Ihre oft wie mit dem Skalpell gezogenen Einschnitte formulieren Muster, abstrakte Formen, ineinander gefügte Kreise, Rhomben, Zickzacklinien und Durchbrüche. Manche Interventionen in die Bildfläche hinterlassen optische Verwerfungen, die wie bipolare oder multiple Bild-Störungen anmuten. Der Betrachter ist einem optischen Vexierspiel ausgesetzt, sein Blick verhakt sich in den gebrochenen oder aufgespaltenen Bildzusammenhängen. Beim Remix ihres Materials können mitunter Gesichtspartien recht ordentlich durcheinander gewirbelt werden.
Nichtsdestotrotz bleibt als zentrales Bildelement wenn nicht immer ein Gesichtsoval so doch zumindest ein Gesichtsfeld erkennbar.
Der Zerstückelung des Körpers wohnt immer etwas Gewalttätiges inne, selbst wenn sie nur symbolisch vollzogen wird. Obwohl Zeneli auf die intime Wiederaufarbeitung ihres Materials größte Sorgfalt verwendet und ihre collagierten Gesichter den chirurgischen Eingriffen zum Trotz eine geheimnisvolle konvulsivische Schönheit eigen ist, zergliedert sie dennoch Körper, zerschneidet das räumliche Kontinuum der Bilder wie die der in ihnen abgebildeten Personen, trennt Figur von Grund, stülpt Innen und Aussen um und zerlegt die Einheitlichkeit des Ich in getrennte Glieder.
Der Schnitt besitzt hier ein chirurgisches, psychogenes wie medientechnisches und dramatisches Moment. Die symbolischen Verletzungen der Bildoberflächen insbesondere da sie menschliche Körper repräsentieren, erzeugen auch im Betrachter eine Auseinandersetzung mit seiner Verletzlichkeit, seinen menschlichen Schwächen und verborgenen Gefühlen, seinen dunklen Kehrseiten und Ängsten.
Zudem lebt in ihren schwarz-weissen Bildwelten eine andere Epoche wieder auf, der sie sich als intime Agentin halbvergessener Zeiten annimmt. Wie durch einen optischen Zeitschacht befördern uns ihre Arbeiten in die Ästhetik und Bildwelt der frühen Moderne. Daher sind ihre Schnitte durch das vorgefundene Bildmaterial nicht allein Schnitte durch den Bildkörper oder durch die individuelle Imagination und Psyche des Betrachters. Das sind sie freilich auch, was sie aber zudem sind, sind Einschnitte und Collagen im kollektiven Bildgedächtnis: ein Schnitt durch das Auge der Zeit.

Medien, Monster und Demiurgen
Die vergleichsweise unscheinbar wirkenden Blätter spielen so auf den weiten und wechselnden Feldern des Medialen, der plastischen Chirurgie und der Psychoanalyse. Aus den Fragen nach Zeit, Erinnerung, Körpern und Medien heraus lassen sie sich in jene spannungsreiche Geschichte des Unbewussten einbinden, in denen Doppelgänger, Gespenster und Demiurgen herumgeistern.
So lassen sich einige der hier verhandelten Blätter von Majla Zeneli in einen größeren kulturgeschichtlichen Verbund einrücken. Medien erzeugen Phantasmen, rufen Geister, die so schnell niemand mehr los wird. Zumal aus der Frühzeit der Photographie kennen wir alle möglichen irrlichternden Phänomene, die in den seinerzeit neuartigen photochemischen Bildprozessen festgehalten wurden. Langzeitbelichtung, Mehrfachbelichtungen und der alchemistische Prozess der Entwicklung von Photographien in den chemischen Bädern der Dunkelkammer erschufen ein regelrechtes Kuriositätenkabinett an geisterhaften und auratischen Erscheinungen. Die Faszination für diese Phänomene und deren teilweise esoterische Interpretation durch die künstlerischen Avantgarden ist bekannt. Einige der beschriebenen Porträt-Collagen zeigen ähnlich flackernde oder verschwimmenden Bilderscheinungen, die Vorstellungen von sich ablösenden Doppelgängern, Geistern, Gespenstern oder Aura-Körpern wachrufen können, wie sie auf solchen Photographien zu finden sind.
Ein weiteres wichtiges Motiv ist das der künstlichen Geschöpfe. Auch hier kann unser Vorstellungsvermögen auf einen vielgestaltigen Hof an bild- und kulturgeschichtlich bereitgehaltenen Varianten zurückgreifen, in denen sich die demiurgischen Zeugungsphantasmen des menschlichen Geistes verarbeitet finden. Homunculus, Golem, Monster, Klone, Cyborgs und andere definierte oder unbestimmbare Geschöpfe, mit denen das hybride Feld des Humanen durch die Diskurse des Phantastischen abgesteckt wird. Schon Leonardo empfahl bei der bildlichen Herstellung grotesker Mischwesen auf den unerschöpflichen Fundus der gegebenen Schöpfung zurückzugreifen und diesen frei zu kombinieren, um ein imaginäres Tier natürlich erscheinen zu lassen.
Der manipulierende Eingriff des Künstlers in die natürliche Seinsordnung und die damit verbundenen Konstruktionsregeln des Phantastischen beruhen auf einer kunsttechnischen Praxis: auf dem Prinzip der Montage. Bis heute ist dies ein vorbildliches Verfahren zur Erzeugung phantastischer Kreaturen und monströser Ungereimtheiten gerade in der Filmindustrie.
Angesichts der Gesichter auf einigen der Incision-Blätter wird man die Künstlerin als Demiurgin in die literarische Tradition einer Mary Shelly stellen dürfen. Majla Zeneli fügt aus teilweise heterogenen Einzelteilen Gesichter ineinander, die zwar keine explizite Ikonographie des Horrors und der Verunstaltung verfolgen, wie sie besonders im Filmgedächtnis mit der Figur des Frankenstein und dessen aus zusammengestückelten Leichenteilen geflickten Grusel-Körpers verbunden wird. Dennoch begegnen wir in ihren Collagen einem schöpferischen Akt auf des Messers Schneide. Zwischen Montage und Schöpfung, zwischen anatomischer Wissenschaft und künstlerischem Phantasma. Wahnsinn und Ekstase des Demiurgen drucken sich auch hier in das Papier.

Schlüssellöcher und andere surrealistische Geheimnisse.
Majla Zeneli operiert in einem ästhetischen Feld, das vor allem von surrealistischen Annahmen der ästhetischen Konzeption kontrolliert wird. Einzelnen Künstlern scheint eine herausgehobene Rolle als Inspirationsquellen zuzukommen. Manche steuern eher ästhetische Kriterien bei, andere inspirieren die Verfahrenswege des Arbeitsprozesses als solchem. Zu letzteren zählt etwa Max Ernst, der schon in den zwanziger Jahren in seinen Collage-Romanen auf fremdes Bildmaterial zurückgriff, indem er alte Holzschnitte und populäre Zeitschriften des 19. Jahrhunderts für seine eigenen bildpoetischen Narrationen wieder verwendete. Der bekannte Kurator, Kunsthistoriker und Max-Ernst Kenner Werner Spies hat in diesem Zusammenhang mit Sicht auf die surrealistische Collage-Technik von deren hermetischer Präsenz gesprochen.
Zwar kann man in den Collagen von Majla Zeneli nur schwer eine artistische Totalität des Widersprüchlichen und Unvereinbaren wie in der von Spies bei Ernst bemerkten surrealistischen „Sinn-Anarchie“ ausmachen, aber einen geheimen Hang zum Geheimnisvollen und eine Neigung zum Gespenstischen und Unheimlichen wird man kaum abstreiten. Auch bei Zeneli blickt der Betrachter auf den unausdeutbaren Grund des Bildes und begegnet einer schließlich rätselhaften Gegenwart. Auch bei ihr findet sich der Interpret verwickelt in unauflösbare Verständnisprozesse.
Ihr modus operandi bewegt sich dabei gleichzeitig in kinematographischen und chirurgischen Bezügen. Nur selten bedient sie sich harter Schnitte, um Widerspenstiges oder Widersprüchliches zusammen zu zwingen, aber dafür erzeugt sie mit minimalen Eingriffen klaffende Bildwidersprüche.
Oft zieht Zeneli den betrachtenden Blick ins Bildinnere, erzeugt eine Durchdringung des Bildes, als ob es die Augen des Betrachters sind, die das Bild und die darauf abgebildete Person mit ihren Sehstrahlen zerschneiden und mit ihren kannibalischen Augen penetrieren. So werden die Augen des Betrachters zum Tatwerkzeug und der Betrachter zum Mittäter.
Als Betrachtern ihrer physiognomischen Psychogramme gibt sie uns Rätsel auf. Und sie erzeugt mit ihren Einschnitten einen geheimnisvollen Sog des Verschwindens. Ein Sog, in dem sich ihre Bildgegenstände aufzulösen beginnen. Je länger man sich mit ihnen beschäftigt, desto undurchdringlicher werden sie. Opak in ihrem autonomen Spiel auf den Schnittstellen zwischen Film, Photographie, Collage und Schabkunst. Zwischen surrealistischem Geheimnis und demiurgischem Größenwahn.
Ihre Gesichter sind Oberflächen, die aus Umbrüchen, Verschiebungen und Entgleisungen bestimmt sind. In einigen Arbeiten dominieren geometrische Grundformen und autonome Abstraktionen wie Kreise, deren Bildinhalte rotieren oder ein Rhombus, der sich wie ein Buchdeckel aufklappt und ein neues Sichtfeld eröffnet. Auf einem Bild ist das Gesicht eine Art Schlüsselloch mit Durchblick auf andere Gesichter. Ein weiteres Blatt zeigt eine Art Panoptikum voller Gesichter. Das abstrakte Gesichtsfeld ist von einer Unzahl in diagonaler Anordnung gekachelter, sich wiederholender und alternierender Gesichter angefüllt. Andere Köpfe dienen als landschaftliche Durchbrüche oder als Leerstelle. Manche Köpfe verlieren sich in optischen Mustern oder erscheinen wie durch einen Reiswolf gedreht und aus den losen Schnipseln wieder zusammengesetzt. Andere Gesichter wiederum scheinen nur notdürftig zusammengeflickt. Auf einigen wirken die Einschnitte wie verunglückte unfallchirurgische Notmaßnahmen oder das monströse Ergebnis eines dilettantischen Demiurgen. Verlust, Vertauschung oder Hinzufügung von Sinnesorganen und Gesichtsgliedern sind jederzeit möglich. Auf einem Bild verdreifacht sich die Augen-und Nasenpartie einer hübschen Frau mit kurzem blonden Bob. Auf einem anderen Frauenbild ist nur der sinnliche Mund und die schön geformte Kinnpartie auf einem schmalen Hals zu erkennen, während ihr Gesicht wie bei einem Wolfsmensch mit dichtem Haar bewachsen ist. Wie um zwei Polsterknöpfe oder dunkle Taifun-Augen herum wirbelt das ungezähmte Fell ihrer Haare.
Was geschieht mit diesen Personen? Wer sind sie? Was bedeutet es, wenn sich eine Augenpartie wiederholt? Wenn die Grenzen und Umrisse einer Person verschwimmen? Wenn das Gesicht entgleist? Wenn sich dort, wo ich einen erwarte, mehrere zeigen? Wenn sich im Gesichtsoval ein Krater, eine Leere, ein Loch, eine Grotte auftut? Was könnte es bedeuten, wenn auf den Schultern kein Kopf mehr sitzt?

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MAJLA ZENELI | Über die abstrakten Arbeiten

Agilulf, die Hauptfigur des Buches “Der Ritter, den es nicht gab” von Italo Calvino, ist eine Ritterrüstung, die nur von einem Geist belebt ist.
Agilulf wird oft in der Morgendämmerung beobachtet, wie er Objekte wie Lanzen, Steine oder Tannenzapfen so zusammensetzt, kategorisiert, aneinanderreiht oder stapelt, dass diese beginnen, Linien und geometrischen Figuren zu repräsentieren. Dieser Aufgabe widmet er sich im Freien mit Stil und Methode. Sie ist für ihn nicht nur eine Gelegenheit seinen Scharfsinn spielen zu lassen, sondern dient ihm gleichsam als Beweis seiner Authentizität.

“Landscapes” ist ein fortlaufender Zyklus, mit dem ich eine vereinfachte Darstellung der Welt dadurch zu Papier bringen möchte, dass ich sie in geometrische Formen zerlege. Akribisch beschreibende Linien werden leicht begradigt, während sich Details von Orten und Gegenständen zu abstrakten Formen paaren. Doch das endgültige Bild, auf den ersten Blick so einfach zu ergründen, entfaltet seine Komplexität erst, wenn die geometrische Abstraktion langsam gegenständliche Qualitäten ausstrahlt, so dass das Bild sich mit weiteren Assoziationen verknüpfen lässt.

Diese Serie von Arbeiten ist à la manière noire ausgeführt, einem Halbton- und Tiefdruckverfahren, das die Fotografie antizipierte. Die für jeden Farbton einzeln bearbeitete Kupferplatte (gedruckt von den hellsten bis zu den dunkelsten Tönen) gibt Form und Couleur wieder. Die Landschaften stellen eine reduzierte Welt dar, die mit den Mitteln einer sparsamen Verdichtung wiedergegeben wird. In Wirklichkeit kommt diese vereinfachte Formel dem Betrachter nur mit einem tieferen, kontemplativen Blick entgegen.